Deutsch gestern – Kauderwelsch heute

[meinung]

Deutsch gestern – Kauderwelsch heute:

Als wir 1980 den Deutschen Schwerhörigenbund Ortsverein Bielefeld e.V. gründeten und aufregende 80er Jahre erlebten, sprach man noch Deutsch.

Es scheint bezogen auf einen jeweiligen 10-Jahresrhythmus ein gewisser Sprachwandel stattzufinden bzw. stattgefunden zu haben. Klare Worte in den 80er Jahren und Kauderwelsch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends.

1980er Jahre:
Sagte doch ein Sozialberufler: „Überlassen Sie die Sache mir, schließlich habe ich studiert!“. Das ist eindeutig wie auch die fröhliche Aussage einer Sozialpolitikerin mit dem ältesten Witz: „Es ist kein Geld da!“. Was selbst eine Sozialberuflerin nicht erklären konnte war das Wörtchen „Szenario“

1990er Jahre:
Es regiert im Wust an Papier bereits ein Soziologendeutsch, welches selbst ein engagierter Schulrektor kopfschüttelnd nicht erklären konnte. Viel Papierberge und viel Statistik regierten die Jahre. Dies alles aber nur für die Schreibtischschublade.

2007:

Schon lange ärgere ich mich über das Chinesisch in einem Sozialleitfaden: Im Vorwort dieses Soziallexikon findet sich ein Hinweis, daß dieses Lexikon leicht lesbar und verständlich gehalten sei. Sozusagen ein Lieschen Müller und Heinz Meier Nachschlagewerk sei. Es finden sich aber im Vorwort folgende Wortungetüme:

E-Learning, Palliativer Kompetenzbereich, angewandtes Gesundheitsmanagement, in Deutschland zu implementieren, innovative Gesundheitsmanagementmodelle, sozialmedizinische Forschung wissenschaftlich evaluiert, Case Management, Case Management Betreuung, Ethics in Business, Nachsorgesymposium, interdisziplinär, Consulting, Perspektive randomisierte Implementierung, ökonomisch, Supervision, Supervisoring, implementierte Trainingskonzepte, interdisziplinäre Nachsorge in der Pädiatrie, Palliativbuch.

Ob Lieschen Müller und Heinz Meier verstanden haben?

In einem anderen Artikel finde ich die Frage eines Professors, gerichtet an Schwerhörige und Gehörlose folgende Wortungetüme: Empowerment, Ressourcenorientierung. Schwerhörige und Gehörlose mögen doch aus eigenem Erleben einige Zeilen zu diesen Themen für dessen Projekt schreiben. Zwar erklärend, aber wozu denn sowas, wenn der Professor offenbar doch Deutsch sprechen und schreiben kann? Ergebnis: Die Frage des Professors wurde so beantwortet, daß er keine Rückantwort bekam und sein Projekt bei Schwerhörigen und Gehörlosen fallen lassen mußte.

Wir Bielefelder sagen nur einfach: „Was wollen die Stoffel denn eigentlich?!

Wie sagte kürzlich ein Doktor bei einem Glas Bier: „Bei einer Versammlung beim Deutschen Schwerhörigenbund geht es lebendiger und verständlicher zu als bei einer wissenschaftlich orientierten Veranstaltung rund ums Hören.“

Hermann W. Aufderheide

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