Stellungnahme zur Resolution der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten-Selbsthilfe und Fachverbände e.V.

Von Renate Löhr

Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass die 24 Mitgliedsverbände der Deutschen Gesellschaft die Resolution einstimmig verabschiedet haben. Dass eine so große Zahl von Verbänden sich einig sind, ist nicht selbstverständlich und verdient daher meine Anerkennung.

Worin stimmen die Verbände überein? Darin, dass Eltern frei und eigenverantwortlich und selbstbestimmt entscheiden dürfen, wenn es um das Wohl ihrer hörbehinderten Kinder geht. Das Elternrecht ist in unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung eindeutig formuliert. Im Grunde ist das eine Selbstverständlichkeit.

Worin besteht nun das Problem, das 24 Verbände auf den Plan gerufen hat?

  1. Eltern sind hilflos. Eltern mit einem behinderten Kind sind zunächst einmal arm dran. Sie sind mit der Situation überfordert. Eltern brauchen Entscheidungshilfen. Eltern brauchen Menschen, die ihnen die Sachlage verdeutlichen können und ihnen zu Sachkompetenz verhelfen. Wie sollen eine Mutter oder ein Vater wissen, was in dem komplizierten Fall der Hörbehinderung gut und förderlich für ihr Kind ist. Gebärdensprache, Lippenablesen, Schriftdolmetscher, Förderschule, CI-Implantation….Eltern sind zunächst einmal überfordert. In dieser verwirrenden Situation benötigen sie dringend objektive Beratung frei von subjektiver Einflussnahme und frei von Druck. Druck von außen, und seien die Argumente noch so einleuchtend, Muß-Vorhaltungen oder Zwangsmaßnahmen helfen am allerwenigsten. Sie schrecken ab. Sie verstärken die Irritation. Sie können im schlimmsten Fall zu Fehlentscheidungen führen.
  2. Eltern haben Angst. Sie haben Angst um ihr Kind, Angst um sein Wohlergehen, Angst um seine Chancen im Leben. Sie suchen nach der besten Lösung. Aber da sie selbst nicht hörbehindert sind, können sie nicht einschätzen, welche Lösung denn die beste ist. Die beste in dem Sinne, dass ihr Kind kein Außenseiter wird, dass es nicht abgeschoben und nicht ernst genommen wird, dass es nicht in die Ecke der Doofen gestellt wird, dass es sein Leben nicht unerfüllt am Rand der Gesellschaft fristen muß. Eltern fürchten um die Hindernisse auf dem Lebensweg ihres Kindes. Sie möchten ihm einen barrierefreien Lebensweg ermöglichen. Und sie kämpfen darum. Zum Glück haben Eltern oft Kraft genug zu kämpfen. Sonst hätten sie sich nicht öffentlich über den Druck von Ämtern und Amtspersonen beschwert. Zum Glück gibt es Verbände, die sie in ihrem Kampf unterstützen.
  3. Eltern haben Angst vor der CI-Implantation. Ich versetze mich in die Lage der Eltern. Sie haben Angst um ihr Kind. Angst vor der Implantation im Kleinkindalter. Diese Angst nimmt ihnen keiner ab. Jede OP birgt Risiken in sich. Der Entscheidungsweg ist steinig und elend. Aber schließlich und endlich gibt keine andere Wahl, als sich den Fachleuten anzuvertrauen. Und das Risiko zu tragen.
    Ich bin eine große Verfechterin der CI-Implantation! Selbst seit 4 Jahren nach einem Hörsturz mit totaler Ertaubung implantiert, weiß ich, wie tödlich Taubsein ist. Weil es von den Menschen, von den Stimmen und Geräuschen, vom tönenden Kommunikationsgeschehen trennt.
    Aber ich weiß auch, wie hoch die Hürde der Angst und der Skepsis ist, die Eltern überspringen müssen in der Hoffnung, zum Wohl ihres Kindes zu entscheiden und dabei das Risiko zu tragen. Ich selbst bin froh, dass es diese Hightech-Medizin gibt und danke dem Schöpfer für die Menschen, die sie entwickelt und erfunden haben. Ich verzichte in meiner Argumentation auf die Erfolgsstatistiken, die so oder so interpretiert werden können.
  4. Nach diesem Plädoyer für die Implantation sollen aber auch die eher herkömmlichen Hilfsmöglichkeiten nicht zu kurz kommen. Gebärdensprache, Mundablesen, Schriftdolmetscher sind gute Methoden, um am sog. normalen Leben einigermaßen teilhaben zu können. Ja, es gibt sogar ganz besondere Menschen, wie z.B. jene wunderbare Frau, die in Wien ein Ministeramt bekleidet. Aber vieles bleibt gehörlosen Menschen für immer verschlossen. Zu vielem haben sie keinen Zugang. Auch das CI löst nicht alle Hörprobleme, aber erstaunlich viele. Gut fände ich, wenn wir die verschiedenen Möglichkeiten miteinander kombinieren könnten. CI + Gebärdensprache + Mundablesen + Schriftdolmetscher. Eltern müssen dann nicht entweder – oder entscheiden, sondern sowohl – als auch.

In der Bibel heißt es: Prüfet alles und das Beste behaltet! Für das Beste halte ich die Kombination, gewissermaßen den ganzen uns bisher zur Verfügung stehenden Reichtum der Hilfen zum Hör-Verstehen und damit zur Teilhabe an dieser Welt und an ihren lauten oder leisen Tönen.

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