Klangwelten – Bericht vom Lindenhofseminar 2012

Musik und Hörschädigung – Klangwelten

Seminar in Bielefeld-Bethel vom 23. bis 25. 11. 2012

Die inhaltliche und technische Qualität des schon einmal im vergangenen Jahr durchgeführten Seminars mit gleichem Thema (organisiert von „Bildung und Beratung Bethel“ in Kooperation mit dem DSB, OV Bielefeld) hatte auch jetzt wieder Interesse geweckt, und so kamen aus Westen (Niederkrüchten), Osten (Dresden), Norden (Dornum) und Fast-Süden (Kronberg/Taunus) Menschen mit Hörschädigung zusammen, um unter der bewährten Leitung der Gesangs- und Diplompädagogin, Musiktherapeutin und Yogalehrerin Kerstin Harms Musik in allen Facetten zu erleben. Die Vorbereitung durch dessen Vereinsmitglieder Helen Bellin und Roswitha Rother wie das Austauschen von 150 Mails, der Transport der Musikinstrumente, der Aufbau der Technik erscheinen mir dankenswürdig. Gutes Verstehen wurde durch eine FM-Anlage und durch die Schriftdolmetscherin Karin Böhmer, an deren Honorar sich die Firma Advanced Bionics (AB) beteiligte, ermöglicht, das leibliche Wohl, das Wohlfühlen und die voradventliche Stimmung im Hotel Lindenhof waren durch die exzellente Küche, die gemütlichen Zimmer und den Glühwein am Samstagabend gewährleistet.

Die wunderbaren Tage eröffneten die Teilnehmer am Freitag (23.) nach dem Abendbrot mit einer Polonaise zur Musik aus der Zeit Ludwigs XIV.
In ihrem anschließenden Vortrag machte uns Roswitha Rother das Thema Musik und Hörschädigung transparent:

1. Das musikalische Empfinden kann auf unterschiedliche Art beeinträchtigt sein: Bei der Schallleitungsschwerhörigkeit ist (lediglich) die Lautstärke, also Quantität, eingeschränkt. Hilfe bzw. Abhilfe kann ein Kopfhörer bringen.
Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit dagegen ist neben der Lautstärken-Beeinträchtigung vor allem die Qualität beeinträchtigt: es kommt zu Dissonanzen, wodurch die Harmonie- und Melodie-Wahrnehmung verzerrt empfunden werden.
Noch gravierender ist die Beeinträchtigung nach Ertaubung und anschließender Cochlea-Implantation, da beim neuen Hören die akustische Wahrnehmung anfangs stark verändert ist.

2. Bei Sinneseinschränkungen im Alter (besonders bei Schwerhörigkeit) können infolge der sensorischen Beeinträchtigung Depressionen sowie eine soziale und kognitive Deprivation entstehen. Musik vermag dem entgegenzuwirken (Ausschüttung von Glückshormonen, Singen in einer Gruppe oder im Chor, Erinnern an altbekannte Texte).

3. Themenbereiche des Programms von AB zum Wieder-Erlernen der Musik-Wahrnehmung:

  • musikalische Stimmungen erzeugen
  • Instrumente erkennen
  • Erkennen von Stimmen
  • Spracherkennung
  • Texterkennung

(die Teilnehmer dieses Seminars bekommen dazu von der o.g. Firma eine kostenlose Jahreslizenz zur Verfügung gestellt – herzlichen Dank auch dafür!).

4. Aspekte, um Musik (wieder) genießen zu können:

  • Optimierung der objektiven Fähigkeit, Musik wahrnehmen zu können (Hörgeräteversorgung, Cochlea-Implantation)
  • Training der musikalischen Fähigkeiten und Praktizieren von Musik (dazu gibt es z. B. auch weitere Programme im Internet)
  • emotionale Annahme der Hörschädigung – mit den damit einhergehenden Einschränkungen – und Aussöhnung mit der veränderten Musikwahrnehmung.

Der Samstag und der Sonntag begannen mit auflockernder Body Percussion mit Kerstin Harms´ Liedbegleitung auf dem Keyboard: „Jede Zelle meines Körpers ist glücklich“; unter Zuhilfenahme von Händen, Füßen und Fingern erzeugten wir rhythmische Klänge und Berührungen an uns selbst und an einem Partner. Durch Handauflegen auf den Rücken des Partners erspürten wir dann dessen Summton-Vibration.

Es folgten weitere schöne Erlebnisse:

Am Samstag sangen wir mit Kerstins Keyboardbegleitung deutsche Volks- und Liebeslieder („In einem Harung jung und schlank“, „Bunt sind schon die Wälder“, „Du, du liegst mir am Herzen“, „Wenn ich ein Vöglein wär“), versahen sie nach Einüben in Kleingruppen mit verbalen Rhythmen und stellten sie dann der Runde vor.

Das afrikanische Lied „Banuwa, Banuwa“ untermalten wir rhythmisch mit dem Caxixi, einer Rassel, die aus Bast geflochten und in deren Boden eine harte Kalebassenscheibe eingearbeitet ist. Je nachdem, wohin der Inhalt (Kiesel, Samenkörner) beim Schütteln trifft, erklingt ein weicher tiefer oder ein hoher scharfer Ton.

Weiteren Liedern („Good night, ladies“, „Hava nagila“, „Horch, was kommt von draußen rein“, „Es, es, es und es“, „John Brown’s body lies amouldring in the grave“, „On a wagon bound for market“) gaben wir unterschiedliche Rhythmen und lautierten sie dann simultan in Sprechchören zu einem Cocktail; das erforderte hohe Konzentration, hörte sich aber absolut interessant an.

Am Abend drückten Kleingruppen nach den vorgetragenen eigenen Gedichten von Eva Sommer („Herbstimpressionen“, „Anrufung meiner Ohren“, “Alles währet seine Zeit“, „Türen“, „Wohin?“, „Man höre und staune“, „Angst“, „Hoffnungsschimmer“) sowie je einem Gedicht von Dr. Martin Furtkamp („Trauer“) und Hermann Hesse („Regenbogen“) ihre Eindrücke und Gefühle anhand von Körperbewegungen und Orff´schen Instrumenten aus. Kerstin ließ uns anschließend in himmlische Sphären schweben mit ihrem Gesang zu Klängen ihres Monochords; das ist ein Instrument mit etlichen Saiten, die alle auf einen Ton gestimmt sind, dadurch einen sehr vollen Klang ergeben, und der als angenehm und beruhigend empfunden wird. Man bringt sie zum Schwingen, indem man mit den Fingern leicht über sie hinweg streicht. Monochorde finden ihre Anwendung in der Meditationsbegleitung sowie Alternativmedizin für Klangtherapie.

Zum Abschluss dieses besinnlichen Abends sangen wir den Kanon „Lobet und preiset ihr Völker den Herrn“.

Am Sonntag verfeinerten wir etliche der schon bekannten Lieder (z. B. „Good night, ladies“) und begleiteten auch die Weihnachtslieder „In dulci jubilo“ und „We wish you a merry christmas“ mit dem „Frosch“ (hölzerne Form mit geripptem Rücken, über den ein Stab gezogen wird), dem „Regenmacher“ (Kaktusrohr, in das Dornen getrieben wurden; die kleinen Kiesel darin fallen beim Drehen von einem Dorn zum nächsten und erzeugen dadurch ein angenehmes, gleichmäßiges Geräusch, das an fließendes Wasser erinnert), den „Ozeantrommeln“ (mit je unterschiedlich kleinen Metallkugeln gefüllte Tamburinformen, durch deren Schütteln man sich in Meeresrauschen hinein versetzt fühlt) und mit Klangstäben, Schellenkranz, Glockenspiel, Xylophon – wunderbare Klangwelten!

Im abschließenden Feedback zeigten sich die Teilnehmer sehr erfreut darüber, dass dieses Mal noch mehr Lieder gesungen wurden als im vorigen Jahr. Zum häuslichen Trainieren der musikalischen Kompetenz wurde jedem gratis die „Heidelberger CI-Training-CD“ (Teil 4) von der Firma MED-EL ausgehändigt.

Beschwingt verabschiedeten wir uns.
Danke – last not least Werner Sauk für die unentgeltlichen Fotos – allen Mitwirkenden!

Brigitte Jeismann

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